Kriegskinder und Kriegsenkel

Die Kriegsvergangenheit zeigt noch heute in vielen Familien Spuren bis in die zweite und dritte Generation hinein. Sie betreffen die „Kriegskinder“ und „Kriegsenkel“. Dabei sind die Kriegsenkel – geboren zwischen 1955 und 1975 – in Gesellschaften aufgewachsen, die versuchten, den Krieg hinter sich zu lassen. Doch faschistische Gewalt, Traumata, Ängste, Minderwertigkeitskomplexe und Aggressionen wurden nach dem Krieg oft jenseits der Öffentlichkeit in der eigenen Familie ausgelebt und nicht verarbeitete Kriegserlebnisse an die nächste Generation weitergegeben. Die Folge: eine tief sitzende Verunsicherung bei den Kriegsenkeln. Viele haben das Gefühl, nicht zu wissen wer sie sind und wohin sie wollen.

 

Viele Kriegskinder, aus den Jahrgängen 1927 bis 1947 sind durch die Erlebnisse aus dem zweiten Weltkrieg stark geprägt, was ihnen oft nicht bewusst ist. Jahrzehntelang gelang es ihnen, Erfahrungen wie Bombennächste, Tod, Hunger,Flucht, Vertreibung, Vergewaltigung zu verdrängen. Jetzt im Rentenalter stellen sie fest, das alte traumatische Erinnerungen wieder hochkommen. Damals in der Nachkriegszeit war es nicht üblich, erlittene Traumata psychologisch behandeln zu lassen. Man dachte „Kinder vergessen schnell“, wenn man nicht darüber redet. Heute weiß man, dass Traumata, wenn sie nicht bearbeitet werden, an die nächste Generation weitergegeben werden. Traumatische Ereignisse können „Schalter im Erbgut“ umlegen und so die Aktivität der Gene verändern. Psychotherapie kann ein Weg sein, die psychischen Probleme der Kriegskinder zu lindern, indem eine Verbindung zwischen den damaligen traumatischen Erlebnissen zur eigenen Lebensgeschichte und den jetzt vorhanden Schwierigkeiten geschaffen wird.

 

Die Kriegsenkel, die Kinder der Kriegskinder fühlten sich von den eigenen Eltern oft nicht wahrgenommen, hatten den Eindruck, die eigenen Eltern kennen sie eigentlich gar nicht. Die Atmosphäre im Elternhaus wird oft als distanziert, freudlos, gefühllos, misstrauisch und zwanghaft beschrieben. Die Kriegsenkel vermissten Wärme, Geborgenheit, einen lebendigen zwischenmenschlichen Austausch und ein Gefühl von Lebensfreude. Ihre Eltern, die schlimmste Situationen überstanden hatten, hatten oft nur wenig Verständnis für die „banalen“ Probleme ihrer Kinder. Statt dessen erwarteten sie Leistung und Fleiß bis hin zum Perfektionismus und vor allem Dankbarkeit. Schließlich mussten die Eltern im Krieg und in der Nachkriegszeit viel leisten. Nicht selten leiden Kriegsenkel heute unter allgemeiner Lebensunsicherheit, diffusen Ängsten, immer wiederkehrenden Blockaden, dem Gefühl der Heimatlosigkeit, depressiven Verstimmungen, Beziehungsproblemen, unerklärlichen Schuldgefühlen etc. Psychotherapie kann helfen, das eigene Leben in einem anderen Kontext zu sehen und Beschwerden zu lindern. Die Perspektive der Kriegsenkel kann sich verändern, wenn es gelingt, die eigenen Eltern als belastet durch die Kriegsereignisse wahrzunehmen.